Es
ist schwirrend heiß. Die Luft ist zum schneiden feucht. Mein Schweiß hat weiße
Mineralränder an allen Kleidungsstücken hinterlassen und bahnt sich
ununterbrochen seinen Weg in kleinen Rinnsalen an meinem Körper entlang.
Überall am Körper habe ich undefinierbare, juckende Bisse von vermutlich noch
unentdeckten Insektenarten.
Ich
stelle nur fest, und beschwere mich nicht. Denn ich liebe es. Ich liebe diesen
Trip. Diesen Trip, der mich bisher von Bahia nach Manaus geführt hat.
Baden mit Piranhas
Drei Tage ist es jetzt her,
dass die zwölfköpfige Touristengruppe den kleinen Urlaubsdampfer "Amazon
Clipper" in Beschlag genommen hat. Von Manaus aus haben uns die
vierköpfige Besatzung und der fantastische Reiseleiter auf dem Rio Negro tief
in den Amazonas-Dschungel geschippert. Jeder Tag … ach, was sage ich… jede
Stunde ist ein Erlebnis. Morgens stehen wir vor Sonnenaufgang auf, um mit einem
motorisierten Einbaum auf schmalen Wasserwegen den erwachenden Dschungel zu
erobern. Zwischen die gespenstischen Geräusche des Waldes mischen sich unsere
faszinierten „Ah“s und „Oh“s. Hier ein Faultier mit Baby am Bauch, da ein
schlafender Leguan, dort eine bizarr aussehende Blüte, über uns ein grellbunter
Vogel. Außerirdische anmutendes Gebrüll erwachender Affen-Horden, betörende,
erdige Düfte, feuchtschwüler Dunst vermischt sich mit dem feinen Schweißfilm
auf der Haut. Würde ich um mich herum nicht auch das Geräusch von zoomenden
Objektiven und Kamera-Auslöser klicken hören, würde ich mich in einem Traum
wähnen. So unwirklich und doch so urinstinktiv vertraut kommt mir das alles
vor.
Zurück vom morgendlichen
Ausflug wird gefrühstückt, bevor es endgültig zu heiß und zu schwül wird, um
auch nur den kleinen Finger krumm zu machen. Frische Ananas in rauen Massen.
Weight Watchers wäre stolz auf mich.
Unser Schiffchen tuckert ein
paar Kilometer flussaufwärts und ankert. Reginaldo, der großartigste
Reiseleiter, den ich bisher kennenlernen durfte, ermuntert uns ein Bad zu
nehmen. Ratlose zweifelnde Blicke seiner Schäfchen. „Was ist mit den Piranhas?
Oder den riesigen Würgeschlangen, die nur auf wohlgenährte Touries als
Mittagsmahl warten?“ Reginaldo lacht nur „Alles Quatsch. Da gäbe es ja schon
lange keine Einheimischen mehr. Alle aufgefuttert.“. Er lacht noch lauter.
Überzeugt und erleichtert
habe ich mich in einen Badeanzug gezwängt und todesmutig in die Fluten
gestürzt. Zusammen mit ein paar Mitreisenden plansche ich ausgelassen im Rio
Negro. Und ich bin so stolz und glücklich!
Naja. Um der Wahrheit die
Ehre zu geben: Nach zehn, fünfzehn Minuten im braunen, kühlen Wasser wird es
mir doch etwas mulmig. Ich könnte schwören, da schlängelt ständig was um meine
Beine. Und da, da hat doch etwas an meinem Zeh gezupft!? Von jetzt auf gleich
paddel ich im Olympia-Tempo auf die Bord-Treppe des rettenden Schiffes zu und
springe förmlich aus dem Wasser. Sorry, liebe Mitreisenden. Was auch immer da
jetzt Hunger hat, muss mit euch vorliebnehmen.
Abends, nachdem die Sonne
sich im Spurt hinter den Horizont geduckt hat, sind wir immernoch vollzählig.
Keine Verluste im Rio Negro zu vermelden. Vielleicht waren es ja doch nur
unterschiedlich erwärmte Wasserschichten an meinen Beinen. Oder eben doch
Piranhas?! Schüchterne, satte Piranhas eben.
Alle Mann wieder in unser
Beiboot. Reginaldo ist mit einem riesigen Strahler bewaffnet und sitzt ganz
vorne im Boot. Der Lichtkegel zerschneidet die tiefschwarze Dunkelheit auf
mehrere Meter. Systematisch sucht der Guide Wasseroberfläche und Bäume nach
blitzenden Augenpaaren ab. So finden wir vom kleinen Baumfrosch bis hin zum
Kaiman allerlei Getier. Und allerlei Getier findet uns. Im Kegel des
Scheinwerfers sammeln sich Milliarden von fliegenden Insekten. Manche so
winzig, dass sie nur im Schwarm als Schatten wahrnehmbar sind. Manche so
riesig, dass Reginaldo sie durch wildes Fuchteln abwehren muss. Obwohl ich
total fasziniert bin und aus dem Staunen mal wieder gar nicht raus komme, spare
ich im meine „Ah“s und „Oh“s, um nicht schon wieder unbeabsichtigt eins der
Flattertiere zu verschlucken.
Zugegeben: In dieser Nacht sind
noch mehr Mückenstiche zu meiner Sammlung hinzugekommen, und ich kratze so
heftig, dass ich kaum zum Schlafen komme. Und doch: Ich bin so unsagbar
glücklich!
Der schönste Sumpf
Tage später finde ich mich im
Pantanal wieder.
Als wäre man auf einem
anderen Planeten gelandet. In meinem Badezimmer wohnen drei kleine Frösche,
benutzen meinen Zahnputzbecher als Froschtoilette, versuchen mich vom Duschkopf
aus oder von unter der Klobrille zu erschrecken und geben mir nachts ein
ohrenbetäubendes Konzert.
Vor meiner Zimmertür sitzt
ein großes Wasserschwein und grunzt mürrisch, wenn ich versuche mich an ihm
vorbei zu schleichen.
Der Ausblick aus dem
Zimmerfenster ins offene Maul des Haus-Kaimans, der wieder vor der Küche
rumbettelt.
Und im Baum über dem
Frühstücksplatz nistet ein Hyazinth-Ara-Pärchen, das den ganzen Tag lustige
Akrobatik-Übungen in den Ästen veranstaltet.
Jeden Morgen, wenn ich hier
im Pantanal die Augen aufschlage, glaube ich immer weiter zu träumen. Das
Paradies!
Mensch und Natur scheinen
hier im Einklang zu leben. Der nette Lodge-Besitzer ist der Prototyp eines
nachhaltig wirtschaftenden Hoteliers, der „sanften Tourismus“ lebt und fördert.
Dennoch lässt er bei interessanten Spaziergängen über sein Land, in seinen
lehrreichen Erzählungen, keinen Zweifel daran, dass wir hier die Eindringlinge
sind. „Wisst ihr warum der Hyazinth-Ara fast ausgestorben ist?“ fragt er die
gespannt lauschende Meute. Allgemeines Kopfschütteln. „Weil wir Menschen die
Würgefeige fast ausgerottet haben.“ beantwortet er die fragenden Blicke. Unsere
Blicke werden noch ratloser. „Die Würgefeige ist eine Art parasitische Pflanze.
Zuerst wächst sie am Stamm einer Pflanze, zumeist Palme, empor, umschlingt dann
ihren Wirt und nimmt dann so irgendwann die buchstäbliche Luft zum Atmen. Die
Wirtspflanze stirbt ab. In der Konsequenz ist die Würgefeige innen hohl.
Perfekte Brutplätze für
Papageien.“ Langsam ertönen die ersten „Ah“s aus der Menge, weil man nun den
Zusammenhang zwischen Würgefeige und Papagei verstanden hat. „Wir Menschen
haben angefangen die Würgefeige abzuholzen, um die Palmen zu erhalten. In
bester Absicht. Aber die Natur ist ein extrem komplexer Gesamtorganismus. Wir
hätten wissen müssen, dass dieses Mosaikstück Würgefeige seine
Daseinsberechtigung hat.“ Er nickt wissend und weise. „Jetzt lässt man die
Feige wieder wachsen?“ fragt ein Naseweis aus der Gruppe. „Und die Ara-Population
erholt sich zusehends.“ nickt unser Gastgeber.
Hach, mein Herz hüpft.
Geliebte Natur. So schlau und voller Wunder. Und manchmal so pervers und
grausam. Ying und Yang. Bevor ich noch sentimentaler oder pathetischer werde,
stapfe ich tapfer hinter der Gruppe her, und weiche den Stöckchen aus, die eine
Affenbande von den Baumwipfeln aus mit unverschämter Treffsicherheit auf uns
Eindringlinge wirft.
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